KI als Werkzeug, nicht als Experte
Inhaltsverzeichnis
ToggleIn diesem zweiten Teil nehme ich dich mit in die „zweite Hälfte“ des Projekts: weg von der Achterbahn hin zu den Regeln, die ich mir nach acht Wochen KI‑gestützter Notion‑Entwicklung gesetzt habe. In Teil I ging es vor allem um die Reise – vom verführerischen Start über das Formular‑Fiasko bis zum kritischen Agenten, der mir am Ende die Augen geöffnet hat.
Was KI kann – und was nicht (für deine Abschlussarbeit)
Nach acht Wochen mit meinem Notion‑Template für Abschlussarbeiten hatte ich ein ziemlich klares Bild davon, wo KI dich wirklich beim Projektmanagement unterstützt – und wo sie dich eher in neue Baustellen schickt. Inzwischen, noch einmal vier Wochen und einige Iterationen später, habe ich auch in puncto Usability für Notion‑Neulinge einiges gelernt und angepasst. Spannend: Die Grenze zwischen „hilfreich“ und „irreführend“ verläuft nicht da, wo der Hype sie verortet.
KI als brillanter Assistent
KI ist extrem stark, wenn es um Strukturen und Varianten geht.
Sie kann in Sekunden Vorschläge machen für:
- Datenbank‑Aufbauten in Notion
- sinnvolle Properties und erste Formeln
- alternative Ansichten (Timeline, Board, Tabelle)
- Textbausteine für Erklärungen, Tool‑Tipps, Mails an Betreuer:innen
Übertragen auf deine Abschlussarbeit heißt das: KI hilft dir, Ordnung in den Kopf zu bringen. Sie kann zum Beispiel:
- aus deinen Stichpunkten eine erste Gliederung bauen, mit der du iterativ weiterarbeiten kannst
- unterschiedliche Varianten für Forschungsfragen formulieren und dich in einem Frage-Antwort-Prozess durch eine Bewertung und Machbarkeitsanalyse führen
- grobe Zeitpläne entwerfen, wenn du ihr Start‑ und Abgabedatum nennst. Aber ohne die Erfahrung von 20 Jahren Betreuung können die auch erstmal – denkwürdig sein.
- Formulierungen vereinfachen, ohne deinen Inhalt zu verändern. Das ist sicher die größte Stärke von LLMs.
Für mein Notion‑Projekt bedeutete das konkret: Ohne KI hätte ich mich wochenlang in Foren und Tutorials einarbeiten müssen. Mit KI konnte ich meine inhaltliche Expertise – Phasen, Meilensteine, typische Aufgaben – in relativ kurzer Zeit in ein funktionierendes System übersetzen. Die KI hat mir geholfen, die technische Brücke zu bauen. Die eigentlichen Inhalte kamen aus meiner Erfahrung.
KI als schlechter Experte
Sobald es um Tool‑Grenzen, Edge Cases und echte Praxis geht, wird KI schwach. Sie klingt weiterhin sehr überzeugend, aber:
- sie halluziniert Funktionen, die es (noch) nicht gibt
- sie schlägt Lösungen vor, die für deinen konkreten Anwendungsfall nicht funktionieren
- sie sieht nicht, wo Studierende im Alltag wirklich stolpern
Das Formular‑Fiasko aus meinem Projekt war ein gutes Beispiel:
Die KI empfahl eine elegante Formular‑Lösung für Start‑ und Enddatum. Auf dem Papier klang das perfekt. In der Praxis stellte sich heraus: So funktioniert es in Notion‑Templates nicht. Diese Erkenntnis kam nicht aus dem Chat, sondern aus dem Test.
Übertragen auf deine Abschlussarbeit heißt das:
- KI kann dir eine zwar schnell eine Gliederung liefern, die logisch wirkt – aber sie weiß nicht, ob dein Studiengang das so akzeptiert. Und oft reicht ein zweiter Blick von Expert*innen, um alle Schwächen aufzudecken, weswegen man die Arbeit so nicht schreiben sollte.
- Sie kann dir eine Methodik vorschlagen, aber nicht beurteilen, ob sie zu deiner Forschungssituation und deinen Daten passt.
- Sie kennt die Prüfungsordnung nicht, deine Betreuerin nicht, deine Zeitressourcen nicht.
Also: ein super Tool, aber eben nur dann, wenn du (oder eine Person, die dich begleitet) weiß, was du da tust.
Die eigentliche Erfolgsformel
Im Rückblick war das Template nur deshalb erfolgreich, weil drei Dinge zusammenkamen:
Fachexpertise: Mein Wissen über wissenschaftliches Arbeiten, typische Phasen, Stolpersteine, realistische Dauer.
Methodik. Systematisches Vorgehen mit Multi‑Modell‑Checks, Resets, kritischem Gegencheck und Dokumentation.
KI als Werkzeug: Unterstützung beim Übersetzen dieser Expertise in Notion‑Strukturen, Formeln und Mikrotexte.
Fehlt eines dieser drei Elemente, kippt das Ergebnis. Das gilt auch für dich:
Ohne deine fachliche Grundlage und ohne klare Entscheidungen zu deinem Projekt bleibt KI ein lautes, aber schlechtes Orakel. Mit klarer Rolle – als Werkzeug, nicht als Experte – kann sie dir dagegen sehr viel Arbeit abnehmen.
Dos & Don’ts für KI‑gestützte Workspace-Entwicklung
Nach fünf großen Fehlern und unzähligen kleinen Sackgassen habe ich mir klare Regeln aufgeschrieben. Nicht als Theorie, sondern als „das mache ich so nie wieder“ – und „so hat es funktioniert“. Viele dieser Regeln lassen sich direkt auf deinen Studienalltag übertragen.
Was funktioniert
1. Investiere Zeit in dein Setup – auch wenn du „nur“ mit einem Chat arbeitest.
Mein Notion‑Agent war nicht einfach „Mach mir ein Template“, sondern sehr konkret: Zielgruppe, Phasenmodell, Grenzen von Notion, typische Aufgaben. Diese Vorarbeit hat jeden Tag Zeit gespart.
Übertragung auf dich: Je präziser du deine Situation schilderst (Studiengang, Thema, Umfang, Abgabedatum), desto brauchbarer werden KI‑Vorschläge für Gliederung, Zeitplan oder Methodik.
2. Nutze mehr als eine Perspektive.
In TypingMind konnte ich zwischen Modellen wechseln, ohne den Chat zu verlieren. Ein Modell schlug komplizierte Formeln vor, ein anderes brachte plötzlich Notion‑Buttons ins Spiel.
Übertragung auf dich: Wenn es wichtig ist (z. B. Forschungsfrage, Gliederung, Methodik), frag mindestens ein zweites Mal – gerne in einem neuen Chat oder sogar mit einem anderen Tool. Nicht, weil KI „lügt“, sondern weil du Perspektiven sammelst.
3. Gehe iterativ vor, nicht im Big Bang.
Der berühmte Monster‑Button entstand nicht an einem Wochenende, sondern Schritt für Schritt. Jede Funktion wurde erst in einem Mini‑Beispiel getestet, bevor sie ins eigentliche Template gewandert ist.
Übertragung auf dich: Bau nicht sofort dein komplettes Studien‑Dashboard. Starte mit einer kleinen Aufgabenliste für die nächsten zwei Wochen, teste sie im Alltag und erweitere dann.
4. Plane den kritischen Gegencheck ein.
Ich hatte irgendwann einen eigenen „kritischen Agenten“, der Vorschläge hinterfragt hat: Gibt es diese Funktion in Notion wirklich? Wo sind bekannte Limitationen? Welche Edge Cases drohen?
Übertragung auf dich: Nimm dir vor, wichtige KI‑Vorschläge mindestens einmal gegenzuchecken – in der Modulbeschreibung, Prüfungsordnung, bei der Betreuerin oder in offiziellen Tool‑Dokus.
5. Dokumentiere, was bei dir im Alltag wirklich trägt.
Ich habe mir notiert, welche Formeln stabil laufen, welche Ansichten sich bewährt haben und welche Notion‑Grenzen ich entdeckt habe. Dieses private Wissensarchiv wurde wertvoller als jede neue KI‑Antwort.
Übertragung auf dich: Notiere dir kurz, welche Pomodoro‑Länge für dich funktioniert, wie viele Aufgaben pro Tag realistisch sind, welche Gliederungsstruktur sich bewährt hat. So wächst mit der Zeit dein eigenes Systemwissen – statt jede Frage immer wieder neu an KI zu delegieren.
Was nicht funktioniert
1. Blindes Vertrauen in überzeugende Antworten.
Das Formular‑Beispiel war auf dem Papier perfekt – und in der Praxis unbrauchbar. Ähnlich ist es bei Abschlussarbeiten: Nur weil eine Gliederung „wissenschaftlich“ klingt, passt sie nicht automatisch zu deinem Thema oder deiner Hochschule.
2. Große Umbauten ohne Vorabtest.
Komplexe Formeln, verschachtelte Datenbanken oder komplett neue Workflows sollten zuerst im Mini‑Setup getestet werden. Das gilt auch für dein Studium: Teste eine neue Schreibroutine an drei Tagen, bevor du deinen kompletten Plan umbaust.
3. Vage Prompts wie „Mach mir einen Zeitplan“.
Je ungenauer deine Frage, desto generischer die Antwort. Ein 08/15‑Zeitplan hilft dir wenig, wenn du Vollzeit arbeitest oder nur acht Wochen Zeit hast.
4. Ein einziges Modell als „Wahrheit“.
Das Modell, mit dem ich gestartet bin, hat mir nie Notion‑Buttons vorgeschlagen – ein anderes schon. Übertragen auf dich: Eine KI‑Antwort ist ein Vorschlag, nicht das letzte Wort.
5. Alles auf einmal bauen.
Jeder neue Rollup, jede Relation, jede Formel macht ein System anfälliger. Für Abschlussarbeiten heißt das: Lieber eine solide Basis (Thema, grobe Gliederung, realistischer Zeitplan), als zehn parallel angefangene Tools, die du nach drei Wochen nicht mehr öffnest.
Was am Ende wirklich Bestand hat – und was es beim Studium nützt
Wenn ich heute auf dieses Projekt schaue, sehe ich nicht zuerst den berühmten Monster‑Button oder die sechs verknüpften Datenbanken. Ich sehe die vielen Abende, an denen ich zwischen „Wow, das geht jetzt wirklich“ und „Ich werfe alles hin und ziehe in eine Höhle“ gependelt bin.
Da war der Moment, in dem die Timeline zum ersten Mal sauber durchlief – alle Phasen der Abschlussarbeit an ihrem Platz, alle Meilensteine berechnet, keine Fehlermeldung. Und kurz darauf der Test, bei dem eine vermeintlich elegante Lösung wieder in sich zusammenfiel, weil KI ein Notion‑Feature erfunden hatte, das so nicht existiert.
Genau dieses Hin‑und‑Her hat das Template am Ende geprägt. Immer dann, wenn ich dachte „Jetzt ist es perfekt“, kam ein Alltagstest mit echtem Projekt, echten Daten, echter Überforderung – und zeigte mir, wo es noch hakt. Übrig geblieben ist ein System, das für mich zwei Dinge leistet:
* Es trägt meine Erfahrung aus zig Abschlussarbeiten und quasi alle meine Bücher in einem einzigen Workspace zusammen.
* Es nimmt Studierenden einen Teil der Projekt‑ und Zeitplan‑Last ab, ohne ihnen das Denken abzunehmen.
Die vielen technischen Details – Ansichten, Einrichtung und Nutzung – habe ich auf eine eigene Seite ausgelagert. Wenn dich interessiert, wie das konkrete Dashboard für Abschlussarbeiten heute aussieht, findest du die Fakten hier:
Was ich aus diesen Wochen mitnehme
Unterm Strich bin ich froh, dass ich dieses Projekt mit KI gemacht habe. Ohne die Unterstützung bei Struktur, Formeln und Varianten hätte ich Monate gebraucht, um mir die nötige Notion‑Expertise anzulesen – wenn ich es überhaupt durchgezogen hätte. KI war der Katalysator, der aus meiner Idee ein nutzbares Dashboard für Abschlussarbeiten gemacht hat.
Gleichzeitig gab es genügend Momente, in denen ich die ganze Technik am liebsten aus dem Fenster geworfen hätte. Wenn wieder eine „perfekte“ Lösung in der Praxis scheiterte. Wenn ein Chat zum x‑ten Mal vergaß, was wir schon gebaut hatten. Wenn ich nachts um elf zum hundertsten Mal eine Formel nachgezogen habe und mich gefragt habe, warum ich mir das eigentlich antue und nicht einfach nur noch coache.
Diese Ambivalenz gehört für mich inzwischen zu einem ehrlichen Bild von „Abschlussarbeit mit KI“ dazu:
* KI kann dir helfen, den Kopf zu sortieren und dein Projektmanagement in Notion zu entlasten.
* Sie spart Zeit, wenn du deine Fragen klar stellst und ihre Vorschläge kritisch prüfst.
* Sie ersetzt aber weder dein fachliches Urteil noch das Gefühl dafür, was für dich im Studium gerade wirklich dran ist.
Wenn du aus dieser Serie nur eine Sache mitnimmst, dann vielleicht diese:
Nutze KI als Werkzeug, aber behalte die Regie. Für deine Abschlussarbeit, für deinen Zeitplan, für dein Lernen. Die Technik kann dich tragen – aber sie darf nicht entscheiden, wohin die Reise geht.