Von Produktivität und Balance

Pfingsten, Feiertage, freie Zeit. Sollte man meinen. Aber dann ist da doch diese To-Do-Liste – endlich mal wieder gründlich aufräumen (mach ich am Wochenende, egal wer wann fragt), rasch noch ein paar Mails von der Arbeit beantworten (ist ja Montag) und schließlich alles, was neben der „eigentlichen“ Arbeit liegen geblieben ist; Abrechnungen, Social Media Beiträge, diesen Blogartikel, irgendwann vor dem 1.7. noch die Steuererklärung.

Herrje. Und schon ist wieder Stress.

Ganz abgesehen davon, dass ich einen Seniorenhund in der letzten Phase und einen, der nochmal seine Jugend entdeckt hat, unter einen Hut bringen muss, mein Motorrad einen Werkstattbesuch wünscht, nebenher eigentlich noch Studium No. 4 läuft und ich mich dunkel erinnere, das sich mal Freunde hatte, die ich getroffen habe. Was ist das nur für ein Leben, im Moment.

Corona hat uns allen viel genommen, Möglichkeiten, soziale Kontakte, Reisefreiheit (wie dereinst das DDR Regime), aber es hat uns auch einige Optionen eröffnet, wie innere Einkehr, mehr Zeit und Ruhe, ein Blick auf das, was man vermisst und was eigentlich gar nicht so sehr. Und nun geht wieder (fast) alles, einiges sogar für nur 9 € (nein, das Virus ist nicht weg, und volle Züge freuen es sicher sehr, Vorsicht nicht nur an der Bahnsteigkante). Und nun hat man das Gefühl etwas zu verpassen, wenn nicht alles genutzt, alle Register gezogen, alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Als wäre es ein böser Traum gewesen und nun sind wir kollektiv froh, wieder wach zu sein.

Aber so ist das nicht. Ohne eine repräsentative Studie dazu durchgeführt zu haben, würde ich mal ganz subjektiv in meinem Umfeld den Trend erkennen wollen, dass sich einiges an Unzufriedenheit und Hektik breit gemacht hat seit dem Frühjahr. Vorbei sind Yoga zuhause im Wohnzimmer (Das hat mir so gut getan, aber ich schaffe es nicht mehr), lange Skype-Gespräche mit der Familie und die Innenschau „Wo will ich eigentlich hin?“. Stattdessen müsste man eine Party-Smartwatch erfinden, die das wöchentliche Soll von mindestens 40 Anti-Corona-Socialising Stunden trackt.

Heute, Pfingsten, Feiertag, ist so ein Tag, an dem ich mich erinnere, wie das war, in den vergangenen zwei Jahren. Wie oft ich darüber nachdachte, was ich eigentlich will, was ich mit dem Tag mache, wie ich wann wo wen treffe. Natürlich wünsche ich mir nicht die Seuche in dem Ausmaß zurück, wie es Karawanen von Leichenwagen dramatisch verdeutlicht haben. Aber können wir nicht das mit dem „Volle Kanne Leben“ wieder etwas reflektierter gestalten? Dann wären diese Jahre für was gut gewesen. Ich wünsche mir, dass ich meine Energien besser einteilen kann (kann ich eigentlich theoretisch!) und es auch tue. Ich unterrichte Zeit- und Selbstmanagement, bin Expertin für Schlüsselkompetenzen, Wissenschaftliches Arbeiten und E-Learning, und selbst ich verfalle der Management-Illusion, alles wäre irgendwie zu schaffen, wenn man die Felder im Kalender nur wie beim Tetris richtig anordnet. Tatsächlich habe ich neulich Werbung für eine Produktivitätssoftware gesehen, die genau das tut: Man gibt ein, welches Tasks anstehen, mit welcher Priorität und wie lange sie wohl dauern, und das Ding klöppelt einem alles so in den Timer, dass jede Lücke genutzt wird.

Wollen wir so leben?

Ich jedenfalls nicht. Ich will auch mal 10 Minuten auf den Bildschirm starren und würde der zurück starren (Kamera aus!), würde er mich für grenzdebil halten. Ich will auch mal – ohne schlechtes Gewissen – gucken, was es so für Rechner/Couchen/Urlaubsziele geben würde, könnte ich mir das leisten, um dann nach einer Stunde doch nichts davon zu kaufen. Meine Energie lebt in Produktivität auf, das stimmt schon, denn an Tagen, an denen ich viel geschafft habe, fühle ich mich gut. Aber ich fühle mich auch gut, wenn ich einfach mal frei mache. Keine Arbeit kein Stress, frei von gesellschaftlichen Normen und Apps, die meinen, mein Tag sollte noch voller sein als er ist. Das brauche ich für meine innere Balance.

Die Moral von der Geschichte: Was machen wir, weil wir es wirklich wollen, was, weil wir vielleicht was verpassen, was, weil es andere von uns erwarten? Was macht uns wirklich froh und bringt uns weiter? Und wie erreichen wir Ziele, zu denen wir auch tatsächlich kommen wollen. Das sind Überlegungen für Feiertage (oder Lock Downs), die den Energiehaushalt auch wieder auffüllen können: Motiviert auf ein Wunschziel hinsteuern. Zum Leben gehören die Dinge dazu, die man nicht so gerne macht, aber ist es ausgewogen oder nehmen sie überhand? Ich für meinen Teil habe beschlossen, dass mein Wunschziel nach wie vor ein laufendes Online-Business ist, mit dem ich meine gesammelte Kompetenz denen, die sie wertschätzen, von überall in der Welt vermitteln kann. Wo immer mein VW Bus, Hunde und ich eben stehen. Doch dazu müssen die Menschen wissen, dass es uns gibt. Also doch Arbeit an diesem Pfingst-Montag, aber mit „schreiben“ welche, die mir wirklich Spaß macht.

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